Wipperau-Kurier

Niedersächsische Landjugend e. V. (NLJ)

„Landjugend ist mehr als nur Gummistiefel“


Seit 2022 ist Hendrik Grafelmann aus Bankewitz Landesvorsitzender der Niedersächsischen Landjugend e. V. Neben seinem Studium der Elektrotechnik in Braunschweig fährt er durch Niedersachsen, Deutschland und Europa, um die Interessen der Jugendlichen und jungen Erwachsenen im ländlichen Raum zu vertreten. Ein Gespräch über Partys, Dorfgemeinschaft und darüber, warum er für diese ehrenamtliche, gemeinnützige Arbeit brennt.

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Hendrik Grafelmann: „Die ganzen Soft Skills habe ich in der Landjugend gelernt.“ Foto: NLJ
Wipperau-Kurier: Herr Grafelmann, Ihre Ortsgruppe ist die Landjugend Rosche. Von hier aus ging Ihr Weg weiter zur Kreislandjugend Uelzen und zum Landesvorstand. Was ist das Tolle an der Landjugend?
Hendrik Grafelmann: Die Land‧jugend ist ein Jugendverband. Im Unterschied zur Jugendfeuerwehr oder DLRG gibt es keine erwachsene Person, die uns leitet. Die Gruppe entscheidet für sich alleine, muss aber auch alleine die Konsequenzen tragen. Damit ist die Landjugend wahnsinnig frei. Sie muss nichts, kann aber alles. Die Gruppe Gerdau-Eimke machte beispielsweise kürzlich eine Werksführung bei Nordzucker, mit dem Ziel, Betriebe im Umkreis besser kennenzulernen. Es heißt immer, dass in der Landjugend nur Bäuerinnen und Bauern seien. Aber das stimmt nicht. Viele fühlen sich der Landwirtschaft zugehörig, ja, aber wir müssen uns deswegen nicht ausschließlich mit dem Thema beschäftigen. Wenn wir bowlen wollen, gehen wir bowlen. Was wir müssen, ist, uns selber zu finanzieren und organisieren. Haben wir genug Geld in der Kasse? Wie buche ich einen Reisebus? Manche, die schüchtern bei uns anfangen, tauen immer mehr auf und übernehmen Posten. Die Landjugend ist eine super solide Gemeinschaft. Keiner wird ausgeschlossen. Die Jugendlichen sind unter sich, passen aber auch gegenseitig aufeinander auf.

Mit der Landjugend verbinde ich coole Partys.
Ja, feiern können wir gut. Dementsprechend dürfte es allen klar sein, dass es bei uns ab und zu nicht nur Unalkoholisches zu trinken gibt. Dazu kommt, dass wir, nicht nur auf den von Ihnen angesprochenen Partys, aufein‧ander aufpassen. Es gibt genügend Ältere, die einen Blick für die Jüngeren haben. Genauso bei
Mitfahrgelegenheiten: Hat jemand seine*n Fahrer*in verloren und in meinem Auto ist noch ein
Platz? Na klar bringe ich die Person rum.

Die Landjugend ist also ein prägendes Element im Erwachsenwerden auf dem Land?
Ich finde schon, ja. Ich will nicht sagen, dass Landjugend für jeden etwas ist, und Ausnahmen bestätigen die Regel, dass sie auch mal das Gegenteil anrichtet. Aber auf Landesebene treffe ich ganz oft auf Landtagsabgeordnete, die sagen: „Ja, Landjugend, ich war auch auf vielen Feten“ oder „ich war da selber drin“ oder „da habe ich meine Frau/meinen Mann kennengelernt“.

Können Sie Ihren Weg zum Landesvorstand skizzieren?
Als ich mit der Landjugend anfing, war die Roscher Gruppe sehr klein. Bei den Abenden saßen manchmal drei Leute aus ‧Rosche und fünf aus der Land‧jugend Wieren. In der Wierener Gruppe war damals Mathias Sauß aus Schäpingen, der 2010 und 2011 im Landesvorstand war. Irgendwann hieß es: „Wir fahren zur Landesversammlung, willst du mit?“ Von da an war ich jedes Mal da. Seit 2012 habe ich keine Landesversammlung ausgelassen. In Rosche war ich zwei Jahre lang Schriftführer, bei der Kreislandjugend Uelzen fünf Jahre Kassenwart und vier Jahre Beisitzer. 2017 wurde ich angesprochen, ob ich mir nicht vorstellen könne, in den Landesvorstand zu gehen. Parallel zu meinem Studienbeginn war ich dann vier Jahre Stellvertreter und nun seit zwei Jahren Landesvorsitzender.

Wo haben Sie mehr gelernt, bei der Landjugendarbeit oder im Studium?
Im Studium natürlich fachlich. Aber menschlich tatsächlich am meisten in der Landjugend. Ich habe viel über Denkweisen und Persönlichkeitstypen erfahren, selbst Pädagogik habe ich gelernt und Methodenkompetenz. Mittlerweile habe ich ein Faible für Kennenlernspiele. (lacht) Auch gehört es zum Amt, Sitzungen zu leiten und vor großen Menschenmengen sprechen. Es nimmt viel Zeit in Anspruch, aber ich bin unheimlich dankbar für diese prägende Erfahrung.

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Was waren bisher Ihre Highlights?
Der Sonderzug, mit dem wir 2018 zum Deutschen Landjugendtag gefahren sind, war richtig klasse. Oder das Theaterstück, das wir im Januar 2020 während der Grünen Woche in Berlin aufführten. 2022 war ich zum ersten Mal auf dem europäischen Landjugendtreffen, der European Rally, bei dem eine Woche lang 80 Menschen aus ganz Europa zusammenkommen. Plötzlich fließt die Abschlussrede auch auf Englisch.

Die Landjugend setzt ebenso starke Zeichen gegen Extremismus und Antisemitismus.
Ja, vor zwei Jahren wurde „Aufgepasst! – Ein Projekt zur Extremismusprävention der Niedersächsischen Landjugend“ ins Leben gerufen. Die Vorträge, unter anderem mit der Autorin Alice Hasters über Rassismus oder der Politologin Andrea Röpke über völkische Landnahme, sind zum Teil noch online zu finden. Landjugend ist einfach viel mehr als nur Gummistiefel. Die Landjugend steht für Offenheit, Respekt und Toleranz. Wir setzen uns aktiv für Demokratie und Menschlichkeit ein.

Im Dezember 2023 werden Sie das Amt abgeben. Was möchten Sie Landjugendlichen mitgeben?
Nehmt jede Chance wahr, auch Aktionen außerhalb eurer Ortsgruppe zu machen. Und wenn’s die Kanutour von der Kreislandjugend ist. Unsere NLJ-Seminare reichen weit über die Agrarthemen hinaus, von „Let’s Dance“ bis hin zu Rhetorik. Hier sind Jugendliche aus ganz Niedersachsen dabei, die ihr kennenlernen könnt.

Was werden Sie nun machen? Vielleicht weiter auf Bundes- oder Europaebene?
Das wird sich zeigen. Nachgedacht habe ich über beides, es muss aber natürlich auch von beiden Seiten passen.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Grafelmann!


Das Interview führte
Fenja Wiechel-Kramüller
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